Sängerin LoreLei

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Lesungen zur Trauung

 


Beppo Straßenkehrer

Auszug aus „Momo“ von Michael Ende

Er fuhr jeden Morgen lange vor Tagesanbruch mit seinem alten, quietschenden Fahrrad in die Stadt zu einem großen Gebäude. Dort wartete er in einem Hof zusammen mit seinen Kollegen, bis man ihm einen Besen und einen Karren gab und ihm eine bestimmte Straße zuwies, die er kehren sollte.

Beppo liebte diese Stunden vor Tagesanbruch, wenn die Stadt noch schlief. Und er tat seine Arbeit gern und gründlich. Er wusste, es war eine sehr notwendige Arbeit. Wenn er so die Straßen kehrte, tat er es langsam, aber stetig: Bei jedem Schritt einen Atemzug und bei jedem Atemzug einen Besenstrich. Dazwischen blieb er manchmal ein Weilchen stehen und blickte nachdenklich vor sich hin. Und dann ging es wieder weiter: Schritt – Atemzug – Besenstrich.

Während er sich so dahinbewegte, vor sich die schmutzige Straße und hinter sich die saubere, kamen ihm oft große Gedanken. Aber es waren Gedanken ohne Worte, Gedanken, die sich so schwer mitteilen ließen wie ein bestimmter Duft, an den man sich nur gerade eben noch erinnert, oder wie eine Farbe, von der man geträumt hat. Nach der Arbeit, wenn er bei Momo saß, erklärte er ihr seine großen Gedanken. Und da sie auf ihre besondere Art zuhörte, löste sich seine Zunge, und er fand die richtigen Worte.

„Siehst du, Momo“, sagte er dann zum Beispiel, „es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man.“

Er blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann fuhr er fort: „Und dann fängt man an, sich zu beeilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen.“

Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.“ Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: „Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“

Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort: „Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste.“ Er nickte vor sich hin und sagte abschließend: „Das ist wichtig.“


Die Bettlerin und die Rose

Von Rainer Maria Rilke gibt es eine Geschichte aus der Zeit seines ersten Pariser Aufenthaltes.

Gemeinsam mit einer jungen Französin kam er (Rilke) um die Mittagszeit an einem Platz vorbei, an dem eine Bettlerin saß, die um Geld anhielt. Ohne zu irgendeinem Geber je aufzusehen, ohne ein anderes Zeichen des Bittens oder Dankens zu äußern als nur immer die Hand auszustrecken, saß die Frau immer am gleichen Ort. Rilke gab nie etwas, seine Begleiterin gab häufig ein Geldstück.

Eines Tages fragte die Französin verwundert nach dem Grund, warum er nichts gebe, und Rilke gab zur Antwort: „Wir müssen ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand.“

Wenige Tage später brachte Rilke eine eben aufgeblühte weiße Rose mit, legte sie in die offene, abgezehrte Hand der Bettlerin und wollte weitergehen. Da geschah das Unerwartete: Die Bettlerin blickte auf, sah den Geber, erhob sich mühsam von der Erde, tastete nach der Hand des fremden Mannes, küsste sie und ging mit der Rose davon.

Eine Woche lang war die Alte verschwunden, der Platz, an dem sie vorher gebettelt hatte, blieb leer. Vergeblich suchte die Begleiterin Rilkes eine Antwort darauf, wer wohl jetzt der Alten ein Almosen gebe.

Nach acht Tagen saß plötzlich die Bettlerin wieder wie früher am gewohnten Platz. Sie war stumm wie damals, wiederum nur ihre Bedürftigkeit zeigend durch die ausgestreckte Hand. »Aber wovon hat sie denn all die Tage, da sie nichts erhielt, nur gelebt?«, fragte die Französin. Rilke antwortete: »Von der Rose…«


Die Hochzeitskerze

Lasst an Eurem Hochzeitstag eine Kerze brennen. Sie ist ein leuchtendes Symbol. Sie soll Euch noch nach Jahren an das erinnern, was Ihr versprochen habt!

Die Hochzeitskerze flüstert Euch dies ins Ohr:

Ich habe es gesehen. Meine kleine Flamme war dabei als ihr die Hände ineinander gelegt und Euer Herz verschenkt habt. Ich bin mehr als bloß eine Kerze. Mein Licht soll dabei sein, bei eurer Ehe. Ich bin ein stiller Zeuge im Hause eurer Liebe und wache stets über euch.

An Tagen, da die Sonne scheint, brauche ich nicht zu brennen. Aber wenn Ihr vor Freude außer Euch seid, wenn ein Kind unterwegs ist oder ein anderer schöner Stern am Horizont Eures Lebens erscheint, dann zündet mich an.

Zündet mich an, wenn es dunkel wird, wenn in euer Leben Sturm einbricht. Wenn Streit da ist, wenn ihr lautlos unter etwas leidet, dann zündet mich an.

Zündet mich an, wenn der erste Schritt getan werden muss und ihr nicht wisst wie, wenn Ihr die Aussprache sucht, aber keine Worte findet, wenn Ihr Euch umarmen möchtet, aber die Arme wie gelähmt sind, dann zündet mich an.

Mein kleines Licht ist für euch ein deutliches Zeichen. Es spricht seine eigene Sprache, die jeder versteht.

Ich bin eure Hochzeitskerze. Ich habe euch gern. Lasst mich brennen, solange es nötig ist, bis ihr mich dann gemeinsam Wange an Wange ausblasen könnt.

Dann sage ich dankbar: Bis zum nächsten Mal!


Die Insel der Gefühle

Vor langer Zeit existierte einmal eine wunderschöne, kleine Insel. Auf dieser Insel waren alle Gefühle der Menschen zu Hause: Der Humor und die gute Laune, die Traurigkeit und die Einsamkeit, das Glück und das Wissen und all die vielen anderen Gefühle. Natürlich lebte auch die Liebe dort.

Eines Tages wurde den Gefühlen jedoch überraschend mitgeteilt, dass die Insel sinken würde. Also machten alle ihre Schiffe seeklar, um die Insel zu verlassen. Nur die Liebe wollte bis zum letzten Augenblick warten, denn sie hing sehr an ihrer Insel.

Bevor die Insel sank, bat die Liebe die anderen um Hilfe.

Als der Reichtum auf einem sehr luxuriösen Schiff die Insel verließ, fragte ihn die Liebe: „Reichtum, kannst du mich mitnehmen?“ „Nein, ich kann nicht. Auf meinem Schiff habe ich sehr viel Gold, Silber und Edelsteine. Da ist kein Platz mehr für dich.“

Also fragte die Liebe den Stolz, der auf einem wunderbaren Schiff vorbeikam. „Stolz, bitte, kannst du mich mitnehmen?“ „Liebe, ich kann dich nicht mitnehmen“, antwortete der Stolz, „hier ist alles perfekt und du könntest mein schönes Schiff beschädigen.“

Als nächstes fragte die Liebe die Traurigkeit: „Traurigkeit, bitte nimm du mich mit.“ „Oh Liebe“, sagte die Traurigkeit, „ich bin so traurig, dass ich allein bleiben muss.“

Als die gute Laune losfuhr, war sie so zufrieden und ausgelassen, dass sie nicht einmal hörte, dass die Liebe sie rief.

Plötzlich aber rief eine Stimme: „Komm Liebe, ich nehme dich mit.“ Die Liebe war so dankbar und so glücklich, dass sie ganz und gar vergaß, ihren Retter nach seinem Namen zu fragen.

Später fragte die Liebe das Wissen: „Wissen, kannst du mir vielleicht sagen, wer es war, der mir geholfen hat?“ „Ja sicher“, antwortete das Wissen, „das war die Zeit.“ „Die Zeit?“ fragte die Liebe erstaunt, „Warum hat mir die Zeit denn geholfen?“ Und das Wissen antwortete: „Weil nur die Zeit versteht, wie wichtig die Liebe im Leben ist.“


Die Liebe und der lange Weg des Lebens

von Phil Bosman

Wie kommen zwei Menschen zusammen, so eng zusammen, dass sie in stiller Zuneigung oder in leidenschaftlicher Begeisterung gemeinsam durchs Leben gehen wollen?

Es ist ein großes Geheimnis. Man kann nicht sagen, was die beiden so zueinander zieht. Vielleicht ein Blick, eine Bewegung, eine Bemerkung, ein Lachen.

Bei jeder Begegnung schlug das Herz schneller. Man träumte voneinander, und man beschloss, miteinander zu wohnen. Man fühlte sich zu Hause, geborgen in dem großen Geheimnis, das die Menschen „Liebe“ nennen. Man wuchs mit dem Leben des anderen zusammen, so, wie zwei Zweige an einem Stamm und aus einer Wurzel wachsen.

Aber der Lebensweg ist lang. Nicht jeden Tag läuten die Festglocken. Die erste Begeisterung geht vorüber, und es kommen viele eintönige Tage. Man merkt mit der Zeit immer mehr, dass der andere nicht nur gute Seiten hat. Du ärgerst dich und denkst vielleicht: Ich habe mich geirrt. Aber du hast dich nicht geirrt. Du bist nur ein Mensch wie viele andere Menschen auch.

Alles Leben unterliegt dem Rhythmus von Tag und Nacht, Hoch und Tief, Ebbe und Flut. Jedes Jahr wird es Frühling und Herbst, Sommer und Winter. Hab Geduld, viel Geduld mit dir selbst und noch mehr mit dem anderen, verlass niemals das Haus der Liebe und Treue. Die Liebe der Leidenschaft kann losbrechen wie ein Sturm, der Menschen entwurzelt. Seine Gewalt treibt die einen zusammen und die anderen auseinander. Aber eines Tages legt sich auch der heftigste Orkan. Dann wird das Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Wenn der Sturm losbricht, gerate nicht in Panik, lass nicht alles los. Halte dich an den Wurzeln fest. Warte und hab Geduld, endlos Geduld. Der Sturm wird vorübergehen, echte Liebe wird bleiben.


Glückliche Ehe

Am Vorabend ihrer Trauung stand eine junge Frau mit ihrer Mutter am Strand.

Sie betrachtete die Sonne, die langsam im Meer versank. Da fragte sie ihre Mutter: Mutter, mein Vater liebt dich und er ist dir immer treu geblieben. Was muss ich tun, damit mein Mann mich immer liebt?

Die Mutter schwieg und dachte nach. Dann bückte sie sich und füllte ihre Haende voll Sand. So stand sie bei der Tochter.

Ohne etwas zu sagen, streckte sie eine Hand aus und presste ihre Finger immer fester zusammen. Der Sand begann aus ihrer Hand zu rieseln. Je krampfhafter sie ihre Hand zusammenballte, desto schneller rieselte der Sand heraus. Als sie schliesslich ihre Hand oeffnete klebten nur noch ein paar feuchte Sandkoerner an ihren Handballen und ihren Fingern.

Die andere Hand hatte die Mutter offen gelassen, wie eine kleine Schale. Darin blieben die Sandkörner liegen. Sie glänzten im Licht der sinkenden Sonne.

Das ist meine Antwort, sagte die Mutter leise.


Ich bin frei

Eine Bergsteiger-Geschichte

Ich beobachtete die beiden Bergsteiger, die schon seit geraumer Zeit gewissenhaft und bedächtig ihre Ausrüstung überprüften. Jeder Griff saß, und ich hatte das Gefühl, dass dies für beide zwar Routine war, ihnen jedoch Freude bereitete. Sie prüften Karabiner, knoteten Seile, hängten Ausrüstungsgegenstände an ihre Gürtel und zurrten ihre Körpergurte fest – jeder für sich. Zu guter Letzt hängten sich beide ein langes, schweres Seil um, mit dem sie beide verbunden waren.

„Entschuldigen sie!“, fragte ich einen der beiden Bergsteiger: „Fühlen sie sich frei!“ „Frei? – wie meinen sie das?“ „Ich meine: frei- sich ungehindert bewegen zu können. Frei – das Leben zu genießen. Frei – um schnell vorwärts zu kommen. Ich meine: Frei! Nicht gegenseitig verknotet, zusammengebunden, und eine schwere Last tragen zu müssen!“

Der eine Bergsteiger blickte den anderen an, und seine Antwort, so kam es mir vor, war die Antwort beider. „Wissen Sie“, sagte er, „da wollen wir hinauf!“ „Wissen Sie“, fuhr er fort, „wir wollen einen besonderen Weg gehen, und wir möchten beide neue Horizonte sehen! Knoten die fest sitzen, Karabiner, die halten und Gurte, die belastbar sind, haben wir uns sorgfältig gemeinsam ausgesucht. Genauso wie die Länge und das mögliche Gewicht des Seiles, mit dem wir beide in ebenem Gelände locker, aber wenn es darauf ankommt, sicher verbunden sind, wenn Klippen zu überwinden sind, wenn Abgründe drohen, wenn wir in steiler Wand hängen. Das Seil erst lässt uns Wege gehen, die wir uns alleine nicht zutrauen würden, die wir alleine nie genießen könnten. Erst das Wissen um unseren sichere und feste Verbindung macht uns frei.


Spuren im Sand

Margaret Fishback Powers

Eines Nachts hatte ich einen Traum. Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn. Vor dem dunklem Nachthimmel erstrahlten, Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben. Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand, meine eigene und die meines Herrn.

Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen war, blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte, dass an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur zu sehen war. Und das waren gerade die schwersten Zeiten meines Lebens.

Besorgt fragte ich den Herrn: “ Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein, aber jetzt entdecke ich, dass in den schwersten Zeiten meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist. Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am meisten brauchte?“

Da antwortete er: „Mein liebes Kind, ich liebe dich und werde dich nie allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten. Dort, wo nur du eine Spur gesehen hast, da habe ich dich getragen.


Über die Heirat

aus „Der Prophet“ von Khalil Gibrah

Ihr wurdet zusammen geboren und ihr werdet auf immer zusammen sein. Ihr werdet zusammen sein, wenn die weißen Flügel eures Todes eure Tage scheiden. Ja, ihr werdet selbst im stummen Gedenken Gottes zusammen sein.

Aber lasst Raum zwischen euch. Und lasst die Winde des Himmels zwischen euch tanzen. Liebt einander, aber macht die Liebe nicht zur Fessel; lasst sie eher ein wogendes Meer zwischen den Ufern eurer Seelen sein. Füllt einander den Becher, aber trinkt nicht aus einem Becher. Gebt einander von eurem Brot, aber esst nicht vom selben Laib. Singt und tanzt zusammen und seid fröhlich, aber lasst jeden von euch allein sein, so wie die Saiten einer Laute allein sind und doch von derselben Musik erzittern. Gebt eure Herzen aber nicht in des anderen Obhut. Denn nur die Hand des Lebens kann eure Herzen umfassen. Und steht zusammen, doch nicht zu nah. Denn die Säulen des Tempels stehen für sich, und die Eiche und die Zypresse wachsen nicht im Schatten der anderen.

Und glaubt nicht, ihr könntet den Lauf der Liebe lenken, denn die Liebe, wenn sie euch würdig hält lenkt euren Lauf. Liebe hat keinen anderen Wunsch, als sich zu erfüllen. Aber wenn ihr liebt und Wünsche haben müsst, dann solltet ihr euch dies wünschen: Bei der Morgenröte mit beflügeltem Herzen zu erwachen und für einen weiteren Tag des Liebens dankzusagen. Und am Abend einzuschlafen mit einem Gebet für den geliebten Menschen im Herzen.


Von der Liebe

aus „Der Prophet“ von Khalil Gibrah

Da sagte Almitra: „Sprich uns von der Liebe.“

Und er hob den Kopf und sah auf die Menschen, und es kam eine Stille über sie. Und mit lauter Stimme sagte er: „Wenn die Liebe dir winkt, folge ihr, sind ihre Wege auch schwer und steil.

Und wenn ihre Flügel dich umhüllen, gib dich ihr hin, auch wenn das unterm Gefieder versteckte Schwert dich verwunden kann. Und wenn sie zu dir spricht, glaube an sie, Auch wenn ihre Stimme deine Träume zerschmet­tern kann wie der Nordwind den Garten verwüstet. Denn so, wie die Liebe dich krönt, kreuzigt sie dich. So wie sie dich wachsen lässt, beschneidet sie dich. So wie sie emporsteigt zu deinen Höhen und die zar­testen Zweige liebkost, die in der Sonne zittern, steigt sie hinab zu deinen Wurzeln und erschüttert sie in ihrer Erdgebundenheit.

Wie Korngarben sammelt sie dich um sich. Sie drischt dich, um dich nackt zu machen. Sie siebt dich, um dich von deiner Spreu zu befreien. Sie mahlt dich, bis du weiß bist. Sie knetet dich, bis du geschmeidig bist; Und dann weiht sie dich ihrem heiligen Feuer, damit du heiliges Brot wirst für Gottes heiliges Mahl. All dies wird die Liebe mit dir machen, damit du die Geheimnisse deines Herzens kennen lernst und in die­sem Wissen ein Teil vom Herzen des Lebens wirst. Aber wenn du in deiner Angst nur die Ruhe und die Lust der Liebe suchst, dann ist es besser für dich, deine Nacktheit zu be­decken und vom Dreschboden der Liebe zu gehen in die Welt ohne Jahreszeiten, wo du lachen wirst, aber nicht dein ganzes Lachen, und weinen, aber nicht all deine Tränen.

Liebe gibt nichts als sich selbst und nimmt nichts als von sich selbst. Liebe besitzt nicht, noch lässt sie sich besitzen; Denn die Liebe genügt der Liebe. Wenn du liebst, solltest du nicht sagen: «Gott ist in meinem Herzen», sondern: «Ich bin in Gottes Herzen.»

Und glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken, denn die Liebe, wenn sie dich für würdig hält, lenkt deinen Lauf. Liebe hat keinen anderen Wunsch, als sich zu erfül­len. Aber wenn du liebst und Wünsche haben musst, sollst du dir dies wünschen: Zu schmelzen und wie ein plätschernder Bach zu sein, der seine Melodie der Nacht singt. Den Schmerz allzu vieler Zärtlichkeit zu kennen. Vom eigenen Verstehen der Liebe verwundet zu sein; und willig und freudig zu bluten. Bei der Morgenröte mit beflügeltem Herzen zu erwachen und für einen weiteren Tag des Liebens dankzusagen. Zur Mittagszeit zu ruhen und über die Verzückung der Liebe nachzusinnen.

Am Abend mit Dankbarkeit heimzukehren und dann einzuschlafen mit einem Gebet für den Geliebten im Herzen und einem Lobgesang auf den Lippen.


Wo der Himmel die Erde küsst

Eine alte Legende erzählt, dass es zwei Menschen gab, die überaus glücklich miteinander lebten. Sie waren zufrieden mit dem, was sie hatten und miteinander teilten. Ihre Liebe wuchs durch die Jahre ihres Zusammenlebens. Niemand konnte diese Liebe zerstören.

Eines Tages lasen sie in einem alten Buch, dass es da irgendwo in der Ferne, vielleicht am Ende der Welt, einen Ort gäbe, wo unermessliches Glück herrschte. Ein Ort sollte dies sein, so sagte das alte Buch, an dem der Himmel die Erde küsst.

Die beiden beschlossen, diesen Ort zu suchen. Der Weg war lang und voller Entbehrungen. Bald wussten sie nicht mehr, wie lange sie schon unterwegs waren, doch aufgeben wollten sie nicht.

Fast am Ende ihrer Kraft erreichten sie eine Tür, wie sie im Buch beschrieben war. Hinter dieser Tür sollte es sich befinden: Das große Glück, das Ziel ihres Hoffens und Suchens. Welch eine Spannung war in ihnen. Wie sollte er aussehen, der Ort an dem der Himmel die Erde küsst, der Ort an dem ein solches Glück herrscht?

Sie klopften an und die Tür öffnete sich. Sie fassten sich an der Hand und traten ein. Da standen sie nun – wieder mitten in ihrer Wohnung. Am Ende dieses langen Weges waren sie wieder bei sich zu Hause angekommen.

Und sie verstanden: Der Ort, an dem der Himmel die Erde küsst, ist dort, wo die Menschen sich küssen. Der Ort, an dem der Himmel die Erde berührt, ist dort, wo die Menschen sich berühren. Der Ort, wo der Himmel sich öffnet, ist der Ort, an dem die Menschen sich füreinander öffnen. Der Ort des großen Glücks ist der Ort, wo Menschen sich glücklich machen.


Zwei Kugelhälften

Gleichnis von Platon

Als das Leben am Anfang stand, fielen unzählige Kugeln auf die Erde. Bei ihrem Aufprall zersprangen sie in zwei Hälften. Uneben und frei auseinander geteilt symbolisieren sie die unterschiedlichen Charaktere zweier Menschen. Doch jede dieser auch noch so verschiedenen Halbkugeln ist für ein Gegenstück bestimmt, so wie auch zwei Menschen füreinander bestimmt sind.

Wir alle sind auf der Suche nach unserer anderen Hälfte, eben nach der anderen halben Kugel. Wenn ihr glaubt, ihr habt Eure andere Hälfte gefunden, dann werdet ihr feststellen, dass die beiden halben Kugeln oft nur an einer einzigen kleinen Stelle passen, was Ihr durch sorgfältiges Drehen und Probieren herausfinden könnt. Es ist ganz natürlich, dass es am Anfang hakt und hängen bleibt. Aber genau das macht Sinn – denn: nicht alles kann von vornherein passen und übereinstimmen.

Nun müssen beide an ihrer halben Kugel arbeiten, schleifen und feilen. Nur langsam und in kleinen Schritten ebnet sich dieser kantige Bruch durch das Geben und Nehmen in der Liebe. Nach einiger Zeit, wenn sich beide Hälften abgeschliffen haben, lassen sie sich fast reibungslos zu einer Kugel formen. Aber eben nur fast, genau passen – wie am Anfang unserer Zeit – darf es nie, sonst verliert man seine Persönlichkeit und das was den Menschen an Eurer Seite ausmacht. Jedoch eines vergesst nie: Ihr sollt nie an der anderen, sondern stets an der eigenen Hälfte feilen.